Uwe Gehringer

Nachbelichtet · 1. Hosen Obe-Kongress auf der Fraueninsel

Was macht ein Nichtbayer, wenn er von einem Kongress für Zahntechniker mit dem Namen „Hosen Obe“ hört? Er stutzt, er grübelt, er googelt … und so erfährt er, dass „Hosn Obe“ ein in Österreich und Bayern bekanntes Kartenspiel und ein bajuwarisches Idiom ist, das ‚Hosen runter‘, also ‚ehrlich sein‘ bedeutet. Alle, die da waren – und das waren mit 170 Teilnehmern recht viele – wissen, wie herrlich ehrlich die Veranstaltung war. Allen anderen soll dieser Beitrag dazu dienen, ein Bild davon zu gewinnen, und sich bereits jetzt zu überlegen, ob sie beim nächsten Hosen Obe-Kongress dabei sein wollen.
fraueninsel.jpg
Was haben Jürg Stuck, Walter Gebhard, Uwe Gehringer, Stefan Picha, Andreas Nolte, ­Stefan Erdmann, Marion Mosler und Christian ­Vordermayer gemeinsam? Sie alle eint, dass sie beim ersten „Hosen Obe“-Kongress, der Mitte Oktober 2015 auf der Fraueninsel im Chiemsee stattgefunden hat (Abb. 1 und 2), ins kalte Wasser gesprungen sind. Nicht im wörtlichen Sinn, denn der See war bereits empfindlich kalt. Dafür ist dieser Sprung ins kalte Waser im übertragenen Sinn gemeint, da es der erste Zahntechnik-Kongress dieser Art war. Es war daher nicht abzuschätzen, ob die beiden Initiatoren Marion Mosler und Christian Vordermayer „die Hütte voll kriegen“ – wie man so schön sagt.

Alles begann mit einer Idee. Der Idee, einen zahntechnischen Kongress zu veranstalten, bei dem die Referenten keine Werbebotschaften verbreiten, sondern zahntechnischen Alltag zeigen und eben die „Hosen Obe“, die Hosen runter lassen sollten. Was also als Idee im Raum stand nahm dank des großen Engagements von Marion Mosler (Abb. 3) und Christian Vordermayer (Abb. 4) immer mehr an Gestalt an.
Der Tag der Wahrheit war gekommen. Hunderte pilgerten gen Chiemsee, um auf eines der Schiffe zu steigen und zur Fraueninsel zu schippern. Dort – genauer gesagt in der Turnhalle des Klosters Frauenchiemsee – fand der „Hosen Obe 2015“, ein Kongress für Zahntechniker, statt.

Zur Begrüßung der Teilnehmer – da­runter so illustre Namen wie Willi Geller, ­Ulrich ­Schoberer, Benjamin Votteler, ­Thorsten Michel, Katrin Rohde, Hans-Jürgen Joit, ­Annette von Hajmasy und viele, viele mehr – hatten sich Marion Mosler und Christian ­Vordermayer ein besonderes „Schmankerl“ ausgedacht. Sie spielten einen Film ab, der bei der Anmeldung der Internetdomain ­www.­hosenobe.­com entstanden ist. Dabei versucht eine vor lachen glucksende Marion Mosler einem offensichtlich sehr verwirrten 1&1-Mitarbeiter zu erklären, das Hosen Obe nichts Schlimmes und ein Idiom für „ehrlich sein“ ist, und dass niemand seine Hosen ausziehen muss. Einfach herrlich! Besser kann man die Besonderheit dieses Kongresses nicht zum Ausdruck bringen. Beim Hosen Obe-Kongress sollte „Tacheles“ geredet werden. Also Klartext …
 
 
Zur Einstimmung zeigte ­Christian ­Vordermayer anhand eines kurz angerissenen Falls von ihm, wo bei ihm die täglichen Fallstrick lauern: in diesem Fall die Angle-Klasse. Somit leitete er zum ersten Referenten über. Die Ehre des ersten Vortrags gebührte Ztm. Jürg Stuck . Er eröffnete die Vortragsreihe mit einer nahezu philosophischen Auseinandersetzung mit dem Beruf des Zahntechnikers. Dabei zeigte er, dass es doch eher komisch ist, sich damit auseinander zu setzen, was Zahntechnik ist, wo man doch als Zahntechniker jeden Tag Zahnersatz herstellt. Somit sollte man sich eher fragen, was Zahnersatz ist. Dabei handelt es sich per definitionem um ein physikalisch-technisches Therapiemittel. Dieses wird individuell für Menschen angefertigt. Daher darf bei der Anfertigung laut Stuck nicht außer Acht gelassen werden, dass in der Natur alles zusammenhängt und einer hierarchischen Ordnung folgt. Jürg Stuck demonstrierte dies mithilfe von etwas Wachs und einer Freiwilligen aus dem Publikum. Denn indem er bei der Probandin die Frontzähne mit Wachs verlängerte, veränderte er deren Wohlbefinden maßgeblich. Denn bereits 2 µm können im Mund „ertastet“ werden. Jürg Stuck appellierte somit an die Verantwortung seiner Kollegen, sich der Verantwortung ihres Tuns bewusst zu werden.

Hiernach widmete sich Walter Gebhard den Entwicklungen der Zahnheilkunde (Feminisierung des zahnmedizinischen Berufsstandes) und erläuterte dem Publikum, worin seiner Meinung nach die Verantwortung des Zahntechnikers liegt. Hierbei griff er auf seine 45-jährige Berufserfahrung und seine intensiven Kontakte zu Patienten zurück. Demnach bringt die Nähe zum Patienten nicht automatisch mehr Erfolg sondern auch die Verantwortung mit sich, in unmöglichen Fällen auch einmal „nein“ zu sagen. Denn am schlimmsten sind Walter Gebhard zufolge die Fälle, „bei denen man sich im Kreis dreht“. Eines der wichtigsten Planungstools ist für ihn dabei das Mock-up. Schließlich hilft ihm dies, Fehler zu vermeiden und heraus zu bekommen, was der Patient will. Das Ziel sollte es laut Gebhard sein, dem Patienten damit ein „Jawohl, das bin ich!“ zu entlocken. Denn die Ästhetik kann nicht definiert werden. Nur der Patient entscheidet, was aus seiner Sicht ästhetisch ist und was nicht.
Uwe Gehringer, der im Übrigen den Anstoß zum „Hosen Obe“-Kongress gegeben hatte, bestätigte seine Vorredner darin, dass der Fokus des Zahntechnikers darauf liegen sollte, den Patienten in das Labor zu holen. Allerdings sollte dieses dann auch auf Patientenbesuche ausgerichtet sein. Hierzu zählt für Gehringer zum Beispiel auch, dass man alle Teile, die man in den Mund des Patienten einbringt, steril sein sollten. Für Uwe Gehringer ist – ebenso wie für Stuck und Gebhard – der Patientenkontakt ein Geschenk, da man als Zahntechniker am Patienten unglaublich viel lernt. Aus der intensiven Arbeit am Patienten ergibt sich laut Gehringer „die Blaupause, anhand derer die Technik geplant werden kann“.

Stefan Picha, den man heute vor allem für seine unglaublich natürlichen implantatgestützten Restaurationen kennt, ließ in seinem Vortrag förmlich die Hosen runter. Er zeigte anhand eines alten implantatprothetischen Falls – auf den er damals unglaublich stolz war – wie sehr er seine Fähigkeiten seither weiter entwickelt hat und dass diese Entwicklung niemals abgeschlossen ist. Vielmehr ist jeder neue Patient eine riesige Herausforderung, dem es sich mit Verantwortungsbewusstsein und bestem Willen zu widmen gilt. Allerdings gemahnte er zur Vorsicht. Denn wenn der Patient anhand des Provisoriums äußert, dass die endgültige Versorgung etwas natürlicher sein soll, dann ist Vorsicht geboten. Denn seiner Erfahrung nach wird der Patient überrascht sein, wie man als Zahntechniker diese Aussage interpretiert. Weniger „Kreativität“ ist also oftmals mehr und besser Zuhören bringt einen der Lösung näher.
Unterstreichen konnte der sehr belesene und studienfeste Andreas Nolte diese Aussage mit einem Zitat von Johannes Mario Simmel: „Das Studieren lehrt uns die Regel, das Leben die Ausnahme.“ Für Nolte zählt die Balance aus altem Wissen und kreativem Denken zu den Schlüsselfaktoren des zahntechnischen Erfolgs. Er schloss seinen emotionalen Vortrag mit dem Satz: „Handwerk ist Hand wert und kein Handelwerk!“